Josef Winkler - Der Kinoleinwandgeher

 

Die Uraufführung im Open-Air-Burgkino in Klagenfurt wurde

zu einem denkwürdigen Fest für Film und Literatur

 

Nach dem Musik-Spielfilm „Universalove“ von Thomas Woschitz und Naked Lunch sowie der „Reise zum unerforschten Grund des Horizonts“, dem TV-Porträt über Gert Jonke, ist Josef Winklers „Kinoleinwandgeher“ der dritte Film innerhalb eines Jahres von und über Kärntner Künstler und Schriftsteller, der sich international sehen lassen kann. Die Uraufführung des Filmes im Open-Air-Kino Klagenfurt im überfüllten Burghof wurde zu einem Fest für Literatur und Film, wie es ein solches in diesem Land kaum gegeben hat.

 

 Ambitionierte Filmemacher und ein engagierter Autor hatten sich zusammengetan. Das Ergebnis des Kärntner Focusfilm-Teams ist ein erstaunlich gelungener, bildgewaltiger Film, so zornig und poetisch wie Josef Winklers Werk selbst. Das bedeutet auch, er animiert – wie schon der kürzere Film über Gert Jonke - zum Lesen des dahinterstehenden Werkes und das ist nicht gerade wenig, denn es ist in beiden Fällen eine nicht gerade leichte Lektüre.

 

 Das Schöne am „Kinoleinwandgeher“ von Michael Pfeifenberger ist, dass dieser Film-Essay nicht durchgeplant war, sondern mit vielen spontanen Einfällen und Bildern durchsetzt und angereichert wurde und in dem trotzdem – abgesehen von einigen Spielszenen vielleicht - alles „stimmt“, und der am Ende der Dramaturgie der Winklerschen Texte entspricht, erbarmungslos und poetisch zugleich, auch vom überlegten Schnitt (Dominik Achatz) und der ästhetisch ausgewogenen Kameraführung (Gerhard Lapan) her. Manche Bilder waren fast zu schön, um „böse“ zu wirken. Im Presseheft findet sich ein erklärender Satz: „Der Bestialität des Profanen hält er märchenhafte Poesie entgegen“.

 

 Gut, dass die ursprüngliche Fassung um mehr als eine halbe Stunde gekürzt wurde, von 117 Minuten auf 83 Minuten, konzentriert auf das Wesentliche, sonst wäre der Film möglicherweise ausgeufert und hätte sich verloren in den Winklerschen Todes-Sehnsüchten und Todes-Rebellionen, die nicht jedermanns Sache sind. So aber ist er die ideale Einstiegsdroge in das Werk von Josef Winkler, trotz allem Absurden und Surrealen, das hier ja auch aus der Realität seiner Heimat entspringt. (Meine Einstiegsempfehlung: der schmale Band „Ich reiß mir eine Wimper aus und stech dich damit tot“)

 

 Wo immer Winkler durchs Bild geht, „inszeniert“ wird oder sich selbst „inszeniert“, er passt einfach dazu. An ihm ist ein beachtlicher statuarischer Schauspieler verloren gegangen. „Ich bin auch zwischen, über und unter diesen Bildern“, hat er selber gesagt. Allerdings muß man sich erst zu Winklers Einsicht durchringen: „Bei den Toten bin ich gerne. Sie tun mir nichts und sind auch Menschen“. Alexander Widner hat es ähnlich schonungslos formuliert: „Begrabt die Lebenden. Sie stören die Toten“.

 

 Beim Schauplatz Mexiko wird es offensichtlich: die Bilder springen geradezu in Winklers Texte hinein (wie seinerzeit schon bei „Que viva Mexiko“ in die Welt von Sergej Eisenstein). Er brauchte sie nicht zu suchen, sie fanden ihn. Winkler reiht sich hier exotisch ein in die vom Katholizismus geschädigten Autoren Österreichs. Bei Thomas Bernhard war es der städtische, bei Winkler der dörfliche, und er ist immer noch gebannt und fasziniert von kirchlichen Ritualen, ob in Kamering, am Ganges in Indien oder in Mexiko, und von den zwangsläufigen Entartungen, ob sich nun Mädchen vom Stadtpfarrturm stürzen, homosexuelle Jungen in Kamering erhängen oder Unberührbare am Ganges Leichenreste entsorgen. Oder wenn Kinder achtlos überfahren werden. Die Szene, in der ein Baby mit einem Totenkopf spielt, ist da keineswegs weit hergeholt.

 

 Die Zuschauer waren begeistert. Doch manche nehmen es dem Büchner(sic!)-Preisträger bereits übel, dass er als einer der wenigen den Mut aufbringt, ständig Attacken gegen die politische Unmoral in seiner Heimat zu reiten – wie auch hier nach Schluss der denkwürdigen Filmpremiere - und sehen ihn bereits in einer Alibi-Funktion für die schweigende Mehrheit. Man meckert halt. Es wäre nicht Österreich oder Kärnten, wenn es anders wäre. Die Neidgenossenschaft gegenüber dem derzeit wohl berühmtesten Schriftsteller des Landes blüht.

 

Horst Dieter Sihler

 

DIE BRUECKE - Oktober 09 - Seite 29